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Das Geschäft mit dem Lebensende

Veröffentlicht am: 13. April 2025


Zwischen Leben und Tod

Nichts im Leben ist so gewiss wie der Tod. Und doch fällt es uns schwer, darüber zu sprechen und noch viel schwerer, Entscheidungen zu treffen, wenn es um das eigene Lebensende oder das eines geliebten Menschen geht. Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist geprägt von Unsicherheiten, Schuldgefühlen und der ewigen Suche nach einer Antwort, die es nicht gibt. Ein ebenso moralisch komplexes Thema ist die Sterbehilfe, also die Unterstützung eines Menschen beim Beenden seines Lebens – sei es durch aktive Tötung, assistierten Suizid, das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen oder palliative Sedierung. Diese Begriffe sind wenig aufschlussreich, weshalb ich sie zur besseren Verständlichkeit im Folgenden zunächst erläutern möchte.

Aktive Sterbehilfe bezeichnet die gezielte Tötung eines Menschen auf dessen ausdrückliches Verlangen durch eine andere Person. Das geschieht oft durch die Verabreichung eines Lebens beendenden Mittels. Passive Sterbehilfe hingegen ist das Unterlassen oder Abbrechen lebenserhaltender Maßnahmen, wie etwa das Abschalten eines Beatmungsgeräts oder das Nichtdurchführen von Wiederbelebungsmaßnahmen. Zwei vermutlich allgemein weniger bekannte Terminologien sind der assistierte Suizid, bei dem Lebens beendende Mittel zur Einnahme durch die betroffene Person bereitgestellt werden, und die palliative Sedierung, bei der das Bewusstsein reduziert wird, um schwerste Symptome in der letzten Lebensphase zu lindern.

Im Folgenden wird sich zeigen: Hinter diesen Begriffen verbirgt sich mehr als nur eine rechtliche oder medizinische Entscheidung: Es ist die Frage nach der Selbstbestimmung und dem Wert des Lebens, die uns dazu zwingt, uns mit den Grenzen des Menschseins und der Verantwortung im Angesicht des Todes auseinanderzusetzen.


Europa im Rechtscheck

Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Sterbehilfe variieren weltweit erheblich und werfen komplexe ethische und moralische Fragen auf. Während in einigen Ländern das Recht auf selbstbestimmtes Sterben anerkannt wird, wurden, die aktive Sterbehilfe betreffend, in anderen Staaten strenge Gesetze erlassen.

In Deutschland ist der assistierte Suizid unter bestimmten Voraussetzungen seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 legal. Das Gericht verweist dabei auf das Recht auf einen selbstbestimmten Tod als Teil des Persönlichkeitsrechts. Die aktive Sterbehilfe bleibt jedoch weiterhin gemäß §216 StGB strafbar. In der Palliativmedizin wird in einigen medizinischen Einrichtungen die palliative Sedierung angewendet, um schwere Schmerzen zu lindern. Streng genommen bewegt sich diese Praxis jedoch in einem rechtlichen Graubereich zur passiven Sterbehilfe.

Dabei greift das sogenannte Prinzip der Doppelwirkung. Dieses besagt, dass eine Handlung mit zwei Wirkungen – einer beabsichtigten und einer unbeabsichtigten – unter bestimmten Bedingungen moralisch vertretbar sein kann. Im Falle der palliativen Sedierung ist die beabsichtigte Wirkung die Linderung unerträglicher Schmerzen, während die unbeabsichtigte Wirkung möglicherweise ein vorzeitiges Ableben verursachen könnte. Entscheidend ist, dass die Linderung des Leidens die primäre Absicht bleibt und der Tod nicht aktiv herbeigeführt wird.

In anderen europäischen Ländern fällt der rechtliche Umgang mit Sterbehilfe deutlich liberaler aus. In den Niederlanden beispielsweise wurde aktive Sterbehilfe bereits 2002 legalisiert. Das Gesetz erlaubt die Tötung auf Verlangen, wenn ein Patient unheilbar erkrankt ist und schweres, unerträgliches Leiden erfährt – vorausgesetzt, der Wunsch nach einem begleiteten Lebensende wurde klar, freiwillig und wiederholt geäußert. Auch Spanien verabschiedete 2021 ein entsprechendes Gesetz, welches aktive Sterbehilfe unter ähnlichen Bedingungen erlaubt.


Der König der Krankheiten

Krebs gilt nicht ohne Grund als der König der Krankheiten. Kaum eine andere Krankheit steht so sehr im Spannungsfeld zwischen medizinischem Fortschritt, existenzieller Angst und der währenden Hoffnung auf Heilung. Mit weltweit über 19 Millionen jährlichen Neuerkrankungen und fast 10 Millionen Todesfällen (Stand: 2022, WHO) zählt Krebs zu den tödlichsten Volkserkrankungen unserer Zeit. Therapien sind oft langwierig und körperlich wie seelisch stark belastend. Die Betroffenen fühlen sich oft gefangen – zwischen dem Wunsch, nichts unversucht zu lassen, Schuldgefühlen gegenüber Angehörigen und dem unvorstellbaren Entscheidungsdruck, der mit jeder Therapieempfehlung einhergeht.

Hinzu kommt eine ökonomische Frage, die ich an dieser Stelle thematisieren möchte. Die Krebsmedizin ist ein Milliardenmarkt – und gerade neue, innovative Therapieansätze betreffend, ist stets von hohen Preisen die Rede. Für Konzerne bedeuten diese Medikamente gewaltige Gewinne, für Patienten jedoch häufig existenzielle Fragen. Der Grat zwischen medizinischem Fortschritt und ökonomischem Kalkül ist schmal. Oft entscheiden Unsicherheiten, Misstrauen und Angst über Leben und Tod. Denn wenn der Preis einer Therapie den Wert eines Menschenlebens zu beziffern scheint, stellt sich zwangsläufig die Frage: Wer entscheidet – und nach welchen Maßstäben?


Eine Vision der Palliativmedizin

Wenn Heilung keine Option mehr ist, beginnt eine andere Form der Medizin – eine, die nicht länger gegen den Tod kämpft, sondern sich dem Leben im Sterben zuwendet. Die Palliativmedizin ist keine Kapitulation, sondern eine bewusste Entscheidung für das, was wirklich zählt: Empathie, Würde und menschliche Nähe – gerade dann, wenn die Zeit begrenzt ist.

Genau dort, wo der medizinische Fortschritt an seine Grenzen kommt und die Hoffnung auf Heilung langsam verblasst, wird die Rolle der Palliativmedizin umso bedeutsamer. Sie setzt genau da an, wo die klassische Schulmedizin oft an ihre emotionalen und ethischen Grenzen stößt. Palliativmedizin bedeutet Perspektivwechsel. Sie fragt nicht: Wie lange kann ein Leben noch verlängert werden?, sondern: Wie kann es – trotz Krankheit – mit Sinn und Menschlichkeit gefüllt werden? Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt, nicht mehr nur die Diagnose. Es geht darum, Schmerzen zu lindern, Ängste ernst zu nehmen und Wünsche zu respektieren – auch dann, wenn keine Therapie der Welt das Fortschreiten der Krankheit mehr aufhalten kann.


Ein Tabu brechen

Das Geschäft mit dem Lebensende ist ein vielschichtiges Spannungsfeld aus medizinischen Möglichkeiten, wirtschaftlichen Interessen und ethischen Fragen. Wer hier klare Antworten erwartet, wird enttäuscht. Die medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte haben es uns ermöglicht, Leben zu retten und zu verlängern, wie es früher undenkbar war. Doch mit diesem Fortschritt kommt auch die Verantwortung, die Grenzen dessen, was medizinisch möglich ist, kritisch zu hinterfragen.

Der Tod darf längst kein Tabuthema mehr sein. Indem wir ihn nicht länger ausblenden, sondern ihn als Teil unseres Lebens begreifen, schaffen wir Raum für Mitgefühl und Selbstbestimmung, denn wie wir sterben, sagt viel darüber aus, wie wir leben. Und vielleicht beginnt ein würdevoller Tod mit dem Mut, ihn nicht länger zu verdrängen.


Passende Literatur- und Medienempfehlungen

  1. Bevor ich jetzt gehe von Paul Kalanithi
  2. Sterben von Matthias Gockel