
Veröffentlicht am: 04. Juli 2025
Ein signifikanter Anteil populärer Musik weltweit basiert auf einer gemeinsamen harmonischen Grundlage. Rund jeder vierte internationale Chart-Hit verwendet eine identische Akkordstruktur: die sogenannte I–V–vi–IV-Folge (in C-Dur: C – G – Am – F).
Auch wenn nicht jeder etwas mit Harmonien, Intervallen und Akkorden anfangen kann, stellt man dennoch fest, dass viele der erfolgreichsten Welthits sich irgendwie ähnlich anhören. Dabei handelt es sich nicht um einen Zufall, denn diese Progression ist nicht nur in ihrer Einfachheit effektiv, sondern erfüllt auch spezifische emotionale und ästhetische Funktionen, die ihre weite Verbreitung erklären. Natürlich ist die richtige Akkordfolge keine magische Formel für den Erfolg. Gesang, Instrumental, Text und Marketing spielen eine ebenso große – wenn nicht sogar größere – Rolle. Doch wir haben es bei diesem Phänomen mit einer strukturellen Anomalie zu tun, die es zu untersuchen lohnt.
Die I–V–vi–IV-Folge ist wohl der Inbegriff westlich-funktionaler Harmonik. Sie ist simpel, eingängig und verfügt über ein hohes Wiedererkennungspotenzial. Für den Hörer bedeutet das vor allem eines: Komfort.
Denn Musik, die vertraut klingt, löst positive Emotionen aus. Die Akkordfolge bietet ein harmonisches Gerüst, das sowohl Spannung als auch Auflösung enthält – und dabei immer in einem klanglich sicheren Rahmen bleibt. Dieses Muster erlaubt es dem Gehirn, die musikalischen Abläufe vorherzusehen, was wiederum als angenehm empfunden wird. Doch nur, weil dieses Muster in westlichen Sphären Wirkung zeigt, bedeutet das noch lange nicht, dass auch andere Kulturen ähnliche Präferenzen haben.
Musikalische Vorlieben sind stark kulturabhängig. Während die I–V–vi–IV-Folge im westlichen Popmusik-Kanon nahezu omnipräsent ist, sind in anderen Teilen der Welt ganz andere Klangstrukturen verbreitet und erfolgreich. In vielen asiatischen, arabischen oder afrikanischen Musiktraditionen dominieren beispielsweise pentatonische Skalen, mikrotonale Systeme oder rhythmisch betonte Modi, die mit der westlichen Harmonik, wie wir sie kennen, nur wenig gemeinsam haben.
Doch es lässt sich beobachten, dass sich westliche Popstrukturen zunehmend global durchsetzen – nicht zuletzt durch die allgegenwärtige Präsenz von Streaming-Diensten, sozialen Medien und internationaler Popkultur – eine Folge der Globalisierung. Dabei entsteht ein Spannungsfeld zwischen lokaler musikalischer Identität und globalisierten Hörgewohnheiten. In manchen Fällen verschmelzen traditionelle Klänge mit der eingängigen Struktur westlicher Popsongs. Etwa im K-Pop oder Latin Pop, was neue hybride Klangformen entstehen lässt.
Ein Hit entsteht aus dem Zusammenspiel vieler Faktoren – Harmonie ist nur einer davon. Die I–V–vi–IV-Folge liefert dabei eine verlässliche Grundlage, die sich bewährt hat, aber sie ist kein Garant für Erfolg. Entscheidend bleibt die emotionale Wirkung auf den Hörer. Und diese entsteht nicht allein durch Theorie, sondern durch Kreativität, Timing, Persönlichkeit – und manchmal schlichtweg durch Zufall.