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Wissenschaft ist nicht gleich Wissenschaft

Veröffentlicht am: 05. August 2025


Der Körper der Wissenschaft

Wenn wir umgangssprachlich von “Wissenschaft” sprechen, entsteht oft das Bild eines objektiven, einheitlichen und unumstrittenen Erkenntnissystems. Doch der Schein trügt: Wissenschaft ist kein monolithischer Begriff. Er ist hingegen geprägt von den unterschiedlichsten Formen des Forschens, Denkens und Verstehens. Während ein Mathematiker mit Sätzen und Lemmata arbeitet, um logische Beweise zu führen, beobachtet ein Biologe Pflanzen unter dem Mikroskop. Die Historikerin wertet alte Schriften und historische Quellen aus und der Soziologe führt empirische Studien. Sie alle “forschen”, aber auf ganz unterschiedliche und gleichermaßen faszinierende Weise.

Ziel dieses Artikels ist es, diese Unterschiede sichtbar zu machen, indem wir die Hauptkategorien wissenschaftlicher Disziplinen näher untersuchen. – von formalen über empirische bis hin zu interpretativen Wissenschaften. Ein besonderer Fokus wird dabei auf dem Fachgebiet der Informatik liegen, das sich nicht klar in eine Schublade einordnen lässt, sondern als vergleichsweise junge Wissenschaft eine Sonderrolle einnimmt: Sie verbindet Logik, Empirie und Anwendung auf einzigartige Weise.


Exakte Wissenschaften – das Hirn

Werfen wir zunächst einen Blick auf die exakten Wissenschaften. Zu ihnen zählen Königsdisziplinen wie Mathematik, Logik und Systemtheorie. Allgemein lässt sich der Bereich der exakten Wissenschaften in formale und technische Wissenschaften unterteilen. Während Hypothesen der formalen Wissenschaft oft rein logisch-deduktiv sind und auf systeminterner Konsistenz aufbauen, sind technische Wissenschaften meist anwendungsbezogen sowie modell- oder konstruktionsbasiert. Sie verfolgen das Ziel, theoretische Erkenntnisse in praktische Lösungen zu überführen – sei es in Form von technischen Systemen, Algorithmen oder ingenieurwissenschaftlichen Anwendungen. Dabei greifen sie häufig auf Methoden und Modelle der formalen Wissenschaften zurück, um komplexe Problemstellungen strukturiert und nachvollziehbar zu lösen.

Exakte Wissenschaften zeichnen sich insgesamt durch eine hohe Präzision in der Begriffsbildung, klare Definitionen sowie reproduzierbare und überprüfbare Ergebnisse aus. Diese Strenge in Methodik und Argumentation macht sie zu einer unverzichtbaren Grundlage für viele andere Disziplinen, insbesondere in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Sie bilden in vielerlei Hinsicht die Grundlage unseres modernen Weltverständnisses und genießen zu Recht den Ruf, besonders verlässlich, objektiv und universell gültig zu sein.


Erfahrungswissenschaften – das Herz

Die Erfahrungswissenschaften stellen eine ebenso facettenreiche Gruppe innerhalb der Wissenschaften dar. Zu ihnen zählen klassische Naturwissenschaften wie Physik, Chemie und Biologie, ebenso wie Gesellschaftswissenschaften etwa Psychologie und Soziologie. Im Zentrum steht die empirische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit: Hypothesen werden auf der Grundlage systematischer Beobachtungen, kontrollierter Experimente, Messungen oder historischer Rekonstruktionen formuliert und überprüft.

Auch innerhalb der Erfahrungswissenschaften unterscheidet man zwischen empirischen und historischen Disziplinen. Empirische Wissenschaften arbeiten mit Studien, Umfragen und Experimenten, deren Ergebnisse unter kontrollierten Bedingungen überprüfbar und idealerweise wiederholbar sind. Die Falsifizierbarkeit gilt dabei als zentrales Kriterium wissenschaftlicher Aussagekraft.

Historische Wissenschaften hingegen untersuchen einmalige, nicht reproduzierbare Ereignisse anhand von Quellen und Artefakten. Ihre Erkenntnisse entstehen durch Interpretation und Kontextualisierung.

Trotz dieser Unterschiede verbindet beide Ansätze das Streben nach objektiver Erkenntnis über reale Phänomene. Dabei spielen methodische Sorgfalt, Transparenz im Vorgehen sowie die Nachprüfbarkeit von Ergebnissen eine zentrale Rolle. Die Erfahrungswissenschaften tragen maßgeblich dazu bei, unsere Umwelt, unser Verhalten und unsere Geschichte zu verstehen – und bilden so eine unverzichtbare Grundlage für gesellschaftliche und technologische Entwicklung.


Der Außenseiter

Während die Ursprünge der zuvor beschriebenen Wissenschaften teils bis in die Antike zurückreichen, nimmt die Informatik eine Sonderstellung ein. Als eigenständige wissenschaftliche Disziplin existiert sie erst seit den 1950er- und 1960er-Jahren und gehört damit zu den vergleichsweise jungen Wissenschaften.

Weitaus bemerkenswerter ist jedoch, dass sich die Informatik nur schwer eindeutig einer bestimmten Wissenschaftskategorie zuordnen lässt. Sie vereint Elemente formaler, technischer und empirischer Wissenschaften: Auf der einen Seite basiert sie auf abstrakter Logik, diskreter Mathematik und formalen Modellen – auf der anderen Seite ist sie hochgradig anwendungsorientiert, entwickelt konkrete Systeme und interagiert mit realweltlichen Phänomenen. Darüber hinaus überschneidet sie sich mit den Natur-, Ingenieur- und sogar Gesellschaftswissenschaften, etwa bei Fragen der künstlichen Intelligenz, Mensch-Computer-Interaktion oder ethischen Implikationen digitaler Technologien. Es ist ein Spannungsfeld, das in kurzer Zeit an unvergleichbarer Komplexität und Interdisziplinarität gewonnen hat.


Ein lebendiger Organismus

Die Vielfalt wissenschaftlicher Herangehensweisen ist kein Mangel, sondern ihre größte Stärke. Sie ermöglicht es uns, die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven zu begreifen – rational, beobachtend, historisch, kreativ – und dabei stets neue Fragen zu stellen. Denn genau darin liegt die Kraft der Wissenschaft: nicht in endgültigen Antworten und objektiven Wahrheiten, sondern im systematischen Streben nach immer tieferem Verstehen.


Passende Literatur- und Medienempfehlungen

  1. Logik der Forschung von Karl Popper