
Veröffentlicht am: 04. Mai 2025
Es ist nicht so, als wollte ich nichts tun. Ich warte nur auf den perfekten Moment, um alles perfekt zu machen. Und zwar jetzt. Oder morgen. Oder Übermorgen. Aber auf keinen Fall halbherzig. Der innere Schweinehund sitzt derweil auf der Couch, reicht mir eine Tüte Chips und flüstert: “Wenn du’s nicht perfekt machen kannst – dann doch lieber gar nicht!” Ich nicke. Wir verstehen uns. Ein bisschen zu gut.
Perfektionismus ist ein lästiger Mitbewohner. Er trägt ein Maßband bei sich, das er bei jeder Gelegenheit zückt. Und dann misst er: meine Texte, meine Arbeit, mein Lernen, meine Gedanken. Dann schwingt er den roten Marker, fährt langsam, Zeile für Zeile über mein Schaffen und streicht alles was ihm – mir – nicht zusagt. Er ist die Illusion von Kontrolle des Unkontrollierbaren. Er bremst und tarnt sich als Anspruch, aber er ist oft nur Angst. Angst vor Kritik. Angst vor Sichtbarkeit. Angst davor, dass “mein Bestes” am Ende doch nicht reicht.
Der Text, den ich nicht vollendet habe, war großartig. Klar strukturiert, tiefgründig, witzig an den richtigen Stellen. Eine runde Sache – in meinem Kopf. Ich habe ihn angefangen. Mehrmals. Ich habe ihn zerlegt, verfeinert, infrage gestellt, verteidigt, verworfen. Er hätte glänzen können. Aber er war nicht perfekt.
Perfektionismus ist nicht nur Feind. Er ist auch Antriebskraft und Motivator. Er spornt an und fordert unser Können heraus. Er hat Prinzipien. Und manchmal entstehen daraus Dinge, auf die man wirklich stolz sein kann. Er bringt uns dazu, uns immer wieder zu verbessern und unser Bestes zu geben. Er fördert Selbstdisziplin, indem er uns dazu anregt, konsequent an unseren Zielen zu arbeiten und keine Abkürzungen zu nehmen.
Aber oft geht er zu weit. Also habe ich es gelassen.
Vielleicht ist das ehrlichste, was ich über Perfektionismus sagen kann: Er lässt dich in dem Glauben, ein kleiner Feinschliff mache es perfekt – doch am Ende bleibt nichts übrig. Nicht, weil es schlecht war, sondern weil “gut” nicht ausgereicht hat. Mein Artikel ist heute nicht fertig geworden – dafür habe ich diese Erkenntnis gewonnen.