Wer ist Cleo? – Der Ursprung eines Mathematik-Mythos

Veröffentlicht am: 01. März 2025

Die Antwort

Am 11. November 2013 erschien auf dem Onlineforum Mathematics Stack Exchange ein Beitrag, der die gesamte Mathematik-Community für das kommende Jahrzehnt in seinen Bann ziehen sollte. Dieser Beitrag war die Antwort auf eine nur wenige Stunden zuvor veröffentlichte Anfrage, in der ein User um Hilfe bei der Lösung eines äußerst komplexen Integrals bat. Die mysteriöse Nutzerin, die sich als Cleo vorstellte, lieferte in rekordverdächtiger Zeit eine Lösung des Problems, die nicht nur überraschend elegant, sondern auch verblüffend simpel erschien. Ihre Antwort bestand lediglich aus dem Ergebnis: $$I = 4\pi \text{ arccot } \sqrt{\phi}$$ Kein erklärender Text, keine Zwischenschritte – nur dieses brillante, aber rätselhafte Resultat. Zunächst hielten viele in der Community die Antwort für einen Scherz. Das Integral, das selbst von Computeralgorithmen nicht gelöst werden konnte, stellte eine riesige Herausforderung dar. Selbst die erfahrensten Mathematiker arbeiteten auf Hochtouren an dem Problem. Doch als sich zunehmend mehr Experten an dem Problem versuchten, wurde schließlich klar: Cleo hatte recht – ihre Antwort war fehlerfrei.

Die Fragen häuften sich: Wer war Cleo? Wie konnte jemand so mühelos ein Problem lösen, das weder durch Computeralgorithmen noch durch jahrelange Erfahrung zu knacken war? Woher stammte diese außergewöhnliche Fähigkeit, solche schwierigen Aufgaben mit so wenig Aufwand zu meistern und warum veröffentlichte Cleo lediglich die Lösung, nicht aber den Lösungsweg?

Wer ist Cleo?

Das Mysterium um die Internetkultfigur Cleo verdichtete sich. Wer war sie und wie war sie in der Lage, solche außergewöhnlichen Lösungen zu finden? Einige vermuteten, hinter der Maske Cleos stecke ein ganzes Team hochbegabter Mathematiker, während andere sie als ein einzigartiges Mathematikgenie bezeichneten, dessen Fähigkeiten weit über das hinausgingen, was man für möglich hielt. Ihre blitzschnellen und präzisen Antworten auf die komplexesten Probleme führten dazu, dass sie mit einigen der größten Persönlichkeiten der Mathematikwelt verglichen wurde. Manche spekulierten sogar, Cleo könnte die anonyme Identität des renommierten Mathematikers Terence Tao sein – eine Behauptung, die er jedoch vehement zurückwies. In der Mathematik-Community ging die Diskussion weiter: Könnte Cleo eine künstliche Intelligenz sein, die sich auf das Lösen von komplexen Integralen spezialisiert hatte? Diese Theorie wurde durch die außergewöhnliche Geschwindigkeit und Präzision ihrer Lösungen weiter befeuert. Doch die Realität blieb ebenso mysteriös wie Cleo selbst.

Ein Blick auf ihr Profil auf Mathematics Stack Exchange brachte eine weitere interessante Wendung. Cleo beschrieb dort, dass sie aufgrund einer medizinischen Kondition in ihrer Interaktion mit der Community stark limitiert sei und nur kurze Antworten schreiben könne.

My real name is Cleo, I’m female. I have a medical condition that makes it very difficult for me to engage in conversations, or post long answers, sorry for that. I like math and do my best to be useful at this site, although I realize my answers might be not useful for everyone. [1]

Diese Information ließ Raum für neue Spekulationen, vor allem, weil sie trotz dieser Einschränkung so schnell und effizient durch einige der schwierigsten mathematischen Probleme navigierte. Fakt ist, dass Cleo zwischen 2013 und 2015 in regelmäßigen Abständen insgesamt 39 weitere Lösungen veröffentlichte, die in ihrer Struktur und Eleganz exakt dem Muster der ersten Antwort folgten.

Die Resolution

Ende 2023 führte ein Reddit-Nutzer namens evilscientist311 eine umfassende Analyse von Cleos Aktivitätsmustern und Interaktionen mit anderen Stack Exchange-Nutzern durch. Seine Recherche enthüllte mehrere verdächtige Profile, die häufig mit Cleo interagierten, darunter die von Vladimir Reshetnikov und Laila Podlesny. Trotz dieser Verbindungen kam der User zu dem Schluss, dass Cleo vermutlich von einer Gruppe von Universitätsfreunden betrieben wurde, die zusammen an mathematischen Problemen arbeiteten und das Konto nach ihrem Abschluss aufgegeben hatten.

Erst im Januar 2025 veröffentlichte der YouTuber Joe McCann ein Video, das auf den früheren Reddit-Untersuchungen aufbaute und in dessen Zusammenhang Cleos Identität vollends preisgegeben werden sollte. Ein Zuschauer von McCanns Video entdeckte einen Zusammenhang zwischen Cleo und anderen Konten durch Informationen zur E-Mail-Wiederherstellung: Bei einem Versuch, das Passwort von Laila Podlesnys Gmail-Konto zurückzusetzen, fand man heraus, dass die Backup-E-Mail-Adresse mit dem Anfang von Vladimir Reshetnikovs E-Mail übereinstimmte. Die wahre Identität schien enthüllt. Als McCann Reshetnikov mit diesen neuen Beweisen konfrontierte, bestätigte dieser schließlich seine Identität als Cleo. Im Februar 2025 veröffentlichte McCann ein zweites Video, in dem er die neuen Beweise präsentierte und erklärte, dass er direkt mit Reshetnikov über seine Entdeckungen gesprochen habe.

Das Motiv

Vladimir Reshetnikov erklärte, dass er die Lösungen zu den mathematischen Problemen so schnell liefern konnte, weil er in Wahrheit derjenige war, der die Fragen selbst gestellt hatte. Mit dem Account von Cleo antwortete er auf seine eigenen Posts, was ihm ermöglichte, die Antworten unmittelbar zu formulieren, ohne auf externe Quellen oder Berechnungen angewiesen zu sein. Sein Motiv hinter diesem ungewöhnlichen Vorgehen war es, das öffentliche Interesse an Mathematik zu steigern und die Aufmerksamkeit auf komplexe mathematische Fragen zu lenken, die in der breiten Öffentlichkeit oft unbeachtet blieben. Durch die mysteriöse und brillante Erscheinung von Cleo wollte er eine Welle der Neugier und Faszination für die Mathematik auslösen, die er als oftmals unterschätzte Disziplin ansah. Trotz der Aufdeckung seiner Identität blieb seine Aktion ein kühner Versuch, die mathematische Gemeinschaft zu inspirieren und zu motivieren.

Die Enthüllung stürzte die Mathematik-Community in ein Wechselbad der Gefühle – von Staunen über die geniale Täuschung bis hin zu Enttäuschung über die Tatsache, dass es sich nicht um ein anonymes Mathematikgenie handelte. Doch trotz der Auflösung blieb Cleo ein faszinierendes Symbol für die Neugier und das Streben nach Wissen, das die mathematische Welt geprägt hatte.

Referenzen

1. Cleo, the Mysterious Math Menace von Allison Parshall, Tulika Bose und Carin Leong
2. Was Cleo from MathStackExchange a Fraud? von Joe McCann
3. Cleo from Math StackExchange’s Identity has been Revealed? von Joe McCann